Die Gewinner*innen des Kurzfilm-Wettbewerbs „20 Seconds for Art“ stehen fest. Der seit 2013 in Kooperation mit INFOSCREEN gemeinsam konzipierte offene Wettbewerb fand heuer zum sechsten Mal statt. Aus 164 Einreichungen wurden von einer Jury fünf Filme gekürt, die über diesen Sommer in ganz Österreich in U-Bahnstationen, Straßenbahnen und Bussen alle sieben Minuten abwechselnd auf den Bildschirmen von INFOSCREEN zu sehen sein werden.
Jedes Mal ist der Wettbewerb einem aktuellen, den öffentlichen Raum betreffenden Thema gewidmet. Diesmal ging es um „Gemeinschaft 3.0. Öffentlicher Raum im digitalen Zeitalter“. Denn der öffentliche Raum ist ein Gemeinschaftsraum, ein Ort der ständigen Aushandlung, in dem unterschiedliche soziale Vorstellungen wie Bedürfnisse aufeinandertreffen und in dem die Grenzen zwischen privaten und öffentlichen Lebensbereichen verschwimmen. Längst haben diese Prozesse auf den digitalen, virtuellen Raum übergegriffen und spiegeln von dort auf den materiell greifbaren Lebensraum wieder zurück. So müssen wir uns heute die Frage stellen, welche Chancen, Grenzen und Risiken die Digitalisierung für die Öffentlichkeit in sich birgt und welchen Wandel sie hervorruft. Was können und könnten digitale Technologien zum Gemeinwohl im öffentlichen Raum beitragen und welche Verantwortung ist damit verbunden? Wie beeinflussen sie die soziale Interaktion bzw. das Miteinander und eine mögliche Teilhabe jetzt und in der Zukunft?
Die Ausschreibung richtete sich an Künstler*innen, Studierende und Absolvent*innen einer künstlerischen, grafischen, filmischen oder einer architektonischen wie stadtplanerischen Ausbildung oder künstlerisch tätige Personen aus dem In- und Ausland (ab 18 Jahren). Die Teilnehmer*innen waren eingeladen, tonlose 20-sekündige Kurzfilme zu diesem Thema und den damit für sie verbundenen Fragen einzureichen.
Nigel Gavus und Fred Plocque Santos, „The digital eclipse of the ego"
Der Protagonist des Films fährt 20 Sekunden – einen Handstand auf seinem Skateboard machend – im öffentlichen Raum von Barcelona durch eine Menge von Menschen, die derart in ihre Handys vertieft sind, dass sie reale Welt nicht mehr wahrnehmen. Nigel Gavus und Fred Plocque Santos wollten dazu anregen, die eigene Wahrnehmung zu schärfen und den öffentlichen Raum wieder als Ort der Begegnung zu schätzen.
Jurystatement: In Form einer ausschnitthaften Momentaufnahme setzt sich der Film damit auseinander, dass Aufmerksamkeit im digitalen Zeitalter zu einer knappen Ressource wird. Selbst spektakuläre und unkonventionelle Handlungen müssen mit Swipen, Selfies und Social Media konkurrieren und werden so kaum noch beachtet. „Fear of missing out“-Aspekte werden ebenso wie die Obsession mit mobilen Endgeräten thematisiert.
Luca Granato, „Das Meer pflügen"
Ein Mensch steht in einem Schutzanzug im Meer und pflügt es mit einer Hacke – ein schier endloses wie unmögliches Unterfangen. Luca Granato thematisiert den Umgang mit den Herausforderungen eines Zeitalters der Ultra-Digitalisierung. Er erforscht das Verhältnis zwischen dem Individuum und dessen Umwelt sowie die Möglichkeiten von zwischenmenschlichen Beziehungen in einer zunehmend vernetzten Welt.
Jurystatement: Der Film veranschaulicht die Herausforderungen und die Ohnmacht des Einzelnen angesichts der täglichen Informationsflut. Mit kraftvollen Bildern wird die Metapher einer liquiden, fluiden digitalen Kultur geschaffen. Der Versuch des Protagonisten, in flüssigem Aggregatzustand „etwas festzumachen“ gleicht einer Sisyphos-Arbeit. Der Beitrag wirft viele Fragen auf und erlaubt den Betrachter*innen die individuelle Beantwortung.
Alexander Klapsch, Moritz Kühn und Sophie Schwarz, „Neon Traces"
Fahrradkuriere hinterlassen im nächtlichen Stadtbild im Vorbeifahren leuchtende Spuren durch ihre reflektierenden Taschen und grell-bunten Jacken. Der Film „Neon Traces“ lenkt die Blicke auf die Arbeiter*innen, die in der „Smart City" weitgehend unbeachtet und trotzdem omnipräsent sind und macht so auf einen unsichtbaren Teil der Digitalisierung als Folge einer neuen ökonomischen Praxis und deren Auswirkungen auf den öffentlichen Raum aufmerksam.
Jurystatement: Der Beitrag setzt die Themenstellung mit dem Sichtbarmachen digitaler Strukturen im öffentlichen Raum um. Trotz des hohen Abstraktionsgrads des Filmes kann der Zuschauer bei genauer Betrachtung die Fahrer unterschiedlicher Lieferdienste erkennen. Damit regt er zum Nachdenken über prekäre Arbeitsverhältnisse in der Plattform-Ökonomie und Veränderungen im urbanen Stadtbild durch unsichtbare digitale Strukturen an.
Anna Vasof, „Footprints"
Eine Person geht einen Weg entlang und hinterlässt mit jedem Fußabdruck Abfall. Mit einer einfachen Metapher verbildlicht Anna Vasof die komplexe Problematik unserer digitalen Fußabdrücke. Auf lakonische Weise wird der Einfluss des Menschen auf die Umwelt dargestellt, der durch die Teilhabe am digitalen Leben unbewusst Abfall produziert und achtlos hinterlässt.
Jurystatement: Der Film vermittelt eine klare Botschaft und visualisiert das Thema des individuellen ökologischen Fußabdrucks. Täglich werden unbewusst Spuren hinterlassen. Digitalisierung und der damit einhergehende Ressourcenverbrauch werden beim Thema Umweltverschmutzung häufig vernachlässigt, da es sich um unsichtbaren Müll handelt. Sie forcieren jedoch den Abdruck. Mit prägnanter Bildsprache übt der Film Konsumkritik und thematisiert den ökologischen Schaden westlich geprägter Lebenskultur.
Dario Wokurka, „Who's sorry?"
„We’re sorry, this video is not longer availabe“ hat wohl jede*r bereits einmal im Internet gelesen. Dario Wokurka schreibt diese Entschuldigung in einer gezeichneten Trickfilmästhetik auf schwarzem, händisch eingefärbtem Grund. Mehr passiert nicht. Gemeinschaft im digitalen Raum ist zunehmend abhängig von nicht-öffentlichen Unternehmen, so Wokurka, Inhalte können aufgrund von Algorithmen, privaten oder politischen Interessen verschwinden.
Jurystatement: Auf der formalen Ebene zeigt der Film ein Spiel zwischen digitaler und analoger Welt. Ein ausschließlich aus der digitalen Welt bekanntes Sujet wird in analoge Form übersetzt, um dann wieder auf einem digitalen Medium zu erscheinen. Inhaltlich werden komplexe Themenfelder wie Zensur sowie Verfügbarkeit und Archivierung von digitalem Content angesprochen. Der Beitrag wirft Fragen zu Informationskontrolle und Steuerungsmechanismen auf. Dies schafft er auf sehr reduzierte und effektive Art und Weise.
Ort
ca. 4.000 INFOSCREENs in ganz Österreich
Galerie
Weiterführende Info
Nigel Gavus * 1992 in Graz (AT), lebt in Wien
nigelgavus.com / instagram.com/dormibundo/
Fred Plocque Santos * 1989 in Bordeaux (FR), lebt in Barcelona (ES)
instagram.com/yeahleyeah/
Luca Granato * 1999 in Cosenza (IT), lebt in Süditalien
lucagranato.it
Alexander Klapsch * 1996 in Leibnitz (AT), lebt in Wien
instagram.com/kla_alexander/
Moritz Kühn * 1996 in Regensburg (DE), lebt in Wien (AT)
instagram.com/_moritz_kuehn/
Sophie Schwarz * 1996 in Ingolstadt (DE), lebt in Wien (AT)
studiomaplus.com
Anna Vasof ist Medien- und Zeitkünstlerin
annavasof.net
Dario Wokurka * 1988 in Wien (AT), lebt in Wien
dariowokurka.com / instagram.com/dw_1027/
JURY
Marcello Demner, Managing Director, Demner, Merlicek & Bergmann/DMB
Cornelia Offergeld, Kuratorische Leitung KÖR Kunst im öffentlichen Raum Wien
Stefanie Paffendorf, INFOSCREEN Programmdirektorin
Eva Sangiorgi, Direktorin der VIENNALE. Vienna International Filmfestival
Axel Stockburger, Künstler und Lehrender an der Akademie der Bildenden Künste Wien
Fünf prämierte Kurzfilme 20 Seconds for Art, 2024Nigel Gavus, Fred Plocque Santos, Luca Granato, Alexander Klapsch, Moritz Kühn, Sophie Schwarz, Anna Vasof, Dario Wokurka
Zeitraum
8. Juli bis 1. September 2024