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Lines and DoubleMichael Kienzer

Lines and Double

Für die neu erbaute Station Troststraße der Linie U1 entwickelte Michael Kienzer eine zweiteilige Arbeit. Sie verbindet einen flächig-linearen und einen dreidimensionalen Ansatz zu einer Gesamtinstallation im Tiefgeschoß des Zugangs in der Klausenburger Straße. Lines and Double ist die erste bildhauerische Intervention im Wiener U-Bahn-Netz, die einen Weg findet, sich von den Wänden zu lösen und eine unmittelbare Auseinandersetzung mit Raum, Fläche und Architektur zu suchen. Der Künstler reagiert auf die Bauelemente der Station mit einer skulptural gefassten Antithese, bereits der Titel ist mehrdeutig gemeint.

Lines verweisen zunächst auf zusätzliche zarte und geradlinige Schnitte in die Wandpaneele entlang der Rolltreppen, die unten beginnend bis fast hinauf zum Eingang reichen. Das zentrale bildhauerische Element Double lässt sich vorläufig auf einen dritten, direkt neben dem dortigen Doppellift neu konstruierten und nicht begehbaren Schacht im Tiefgeschoß beziehen. Beide Titelworte stehen aber auch im Austausch miteinander, denn die Fugen werden durch die Wandzeichnung ebenso aufgegriffen, in diesem Sinne gedoppelt, wie die Linien für die Struktur des dritten blinden Schachts konstitutiv sind. Das Double, nun aufgefasst als Doppelgänger, bildet im Vergleich mit dem benachbarten Doppellift ein gleichwohl eigenständiges ästhetisches System.

In der offenliegenden Wechselwirkung formaler Gegensätze steckt Kienzers konzeptueller Eigensinn. Skulptur wird nicht als ein formidabler Block oder ein dekorativ gestaltetes Werkstück konzipiert. Versteht man traditionelle Skulptur als ein stabil in sich begründetes, endogenes Bezugssystem im Unterscheid zur Installation, die variabel, aber schlüssig in ein umgebendes exogenes Bezugssystem eingepasst wird, dann geht Kienzers Auffassung von Skulptur über dieses Gegensatzpaar hinaus. Seine Form- und Materialkonstellationen vernachlässigen weder den räumlichen Kontext noch den Ortsbezug, sind aber genuin von der Werkautonomie und damit zugleich vom eigenen Interesse her gedacht. Simplizität, Pathos und Erhabenheit widerstreben Kienzer, so entsteht ein bildhauerisches Werk, das mehrdeutig interpretierbar ist.

Kienzer greift wie immer bei seinen Arbeiten im öffentlichen Raum auf vorhandenes Inventar, Stoffe oder Strukturen des Ortes zurück und verwendet sie, sich Methoden der Verdichtung, Verknüpfung, Balance und Verschiebung bedienend, für sein eigenes Vorhaben. Der künstliche Schacht setzt sich von der funktionalen Ordnung ab und überführt sie in eine skulpturale Form. Dabei sieht und spürt man intuitiv, dass diese Gegenüberstellung keine Wertung beinhaltet, sondern einen konstellativen Umgang mit Material und Architektur aufzeigt. Eine Konstellation meint das vorübergehende Zusammentreffen von Festkörpern zu einem Bild. Kienzers Eingriff in die standardisierte Architektur entwirft in Verbindung mit den umgebenden Funktionselementen Fahrstuhl, Rolltreppe, Stiege, Bahnschacht und Gleiskörper das Bild einer Bewegung im Stillstand. Tag für Tag in steter Wiederholung sickert solch eine Vorstellung bewusst oder unbewusst in die Wahrnehmung ein und begleitet auf dem Weg durch die Station. Hastend zur U-Bahn oder zurück an die Oberfläche, durchqueren Menschen ein Raumbild, in der Regel ohne es zur Kenntnis zu nehmen. Sobald man aber aufmerkt, wirkt die künstlerische Perspektive ansteckend und erschließt den Passanten eine neue Dimension: die Vorstellungskraft in Bewegung. Für winzige Momente im alltäglichen Geschehen löst sich das skulptural-architektonische Raumgefüge Kienzers für aufmerksame Betrachter/innen treppauf, treppab in dynamische Linien- und Richtungswechsel auf, die einen bei genauerem Hinsehen fast schwindeln lassen können.

Zwischen Funktion und Dysfunktion der benachbarten und vergleichbaren Bauformen des dreidimensionalen Schachts ebenso wie auf dem Lineament der Fläche entsteht ein wechselseitiges ästhetisches Spannungsverhältnis, das die Relevanz von Kunst im öffentlichen Raum mit bildhauerischen Mitteln hinterfragt. Lines and Double dekonstruiert Architektur durch die Konstellation verschiedener Raumelemente zu einem ortskonträren Denkbild der Zeitlichkeit und erweitert so die Möglichkeiten von Kunst im öffentlichen Raum, um über die breit getretenen Wege der Dekoration, Kommunikation, Repräsentation und Irritation hinauszugelangen.

Textauszug: Dirck Möllmann

Ort

U1-Station Troststraße (Bahnsteig Richtung Oberlaa), 1100 Wien

Weiterführende Info

Künstler
Michael Kienzer

*1962 in Steyr (AT), lebt und arbeitet in Wien.

Dieses Projekt wurde im Rahmen eines künstlerischen Wettbewerbs als Siegerprojekt gekürt. Für mehr Informationen folgen Sie diesem Link:

ZUM WETTBEWERB

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Lines and DoubleMichael Kienzer

Zeitraum

Seit 6. September 2017

U1 Troststraße

Installation aus Stahlprofilen beschichtet im Farbton RAL 7004, signalgrau und Sicherheitsglas punktgehalten, Beleuchtung.
Flächige Fugenzeichnung auf Emailpaneelen, Farbton RAL 9002, grauweiß.

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Wiener Linien: Kunst in der U-Bahn

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