Kein schlafendes Pferd wecken
Ein unheroisches Monument am Wiener Reumannplatz von Heike Mutter und Ulrich Genth
Auf einem monumentalen Sockel am Reumannplatz schläft nunmehr ein Pferd aus Bronze. Es ist ruhig, ungerührt und sieht aus, als denke es nicht daran, aufzuwachen. Oder doch? Und was wäre dann? In seiner Eleganz steht es jedenfalls den vielen Monumenten, die mit Pferden bestückt sind, um nichts nach. Allerdings dient das schlafende Pferd keinem Herrn und es hat offensichtlich auch nicht vor, dies zu ändern. Und es ist auch selbst nicht herrschaftlich: Im Gegensatz zu Denkmälern, die man aus der Ferne betrachtet, sind Details bei dem Pferd auf dem Reumannplatz naturalistisch angelegt und wirken intim. Die Besucher*innen sind mit dem schlafenden Tier auf Augenhöhe und kommen ganz nahe heran. Das Monument protzt also nicht, ehrt nicht und ist überhaupt ziemlich unheld*innenhaft. Aber vielleicht wirft es gerade deshalb Fragen auf. Einigen, die sich mir stellen, möchte ich hier gerne nachgehen:
Ist der Reumannplatz ein Held*innenplatz? Hier findet vieles statt: Unheimliche Wahlkampfveranstaltungen zum Beispiel und heimliche Eiscafé-Rendezvous. Der Reumannplatz ist ein Zentrum im Zehnten, ein Ort migrantischen Lebens, bürgerlicher Gentrifizierung und rechtsextremer Mobilisierung. Hier wird und wurde Wiener Arbeiter*innengeschichte geschrieben, eine Geschichte von Kämpfen und Shoppingerlebnissen, eine Geschichte der Halbwelt, eine Geschichte des alltäglichen Lebens und Überlebens, des Sterbens, der Ausbeutung, eine Geschichte der Deportationen und der Gewalt.
Was für ein Monument braucht nun der Reumannplatz? Während wir denken, Monumente stehen oft auf wichtigen Plätzen und erinnern an wichtige Leute, wissen wir doch aus Erfahrung, dass das eigentlich nicht stimmt. Sicherlich wurden sie gebaut, weil sie jemanden oder etwas ehren sollten. Und Monumente werden in der Szenografie einer Stadt auch vermarktet. Allerdings werden sie sehr selektiv vermittelt und wahrgenommen. Denn einerseits sind Monumente, wenn ihre Themen und Kontexte, brisant scheinen, umkämpft und umstritten: Gerade heute stürzen Aktivist*innen vielerorts Denkmäler, fordern Straßenumbenennungen, intervenieren in Geschichtserzählungen. Und andererseits stehen doch auch viele Monumente im Stadtraum, die kaum jemand ansieht. Das bemerkte Robert Musil bereits im frühen 20. Jahrhundert und schrieb: „Es gibt nichts auf der Welt, was so unsichtbar wäre wie Denkmäler“[1] Komisch, eigentlich... Dabei hatten doch Künstler*innen (eigentlich waren es fast nur männliche Künstler), so viele Straßen und Plätze zur Repräsentation und Ehrung der bestehenden Verhältnisse bestückt. Zumeist geschah dies mit plastischen Darstellungen von Figuren von weißen, mächtigen und sicherlich für die jeweiligen Verhältnisse sehr wichtigen Männern, die entschlossen und stolz auf Sockeln standen, mit der Hand am Herzen oder mit gezücktem Schwert, die sehr oft auf Pferden saßen und in Stein oder Bronze beeindrucken sollten, oder auch einfach da sein sollten, denn so genau, das wissen wir ja eben von Robert Musil, hat sich die Darstellungen eigentlich niemand angesehen.
Unsichtbar ist in diesem Sinne am Reumannplatz leider wahrscheinlich auch das „Mahnmal für die Opfer des Faschismus“ aus Favoriten. Es wurde von Heinrich Sussmann gestaltet und auf Initiative der Arbeitsgemeinschaft der KZ-Verbände und Widerstandskämpfer Österreichs am 24. Oktober 1981 enthüllt. Es trägt die Aufschrift: „1934–1945/Den Opfern/des Faschismus/für Österreichs/Freiheit/und Unabhängigkeit/Den Toten zum Gedenken,/den Lebenden zur Mahnung./Niemals vergessen“[2]. Darüber hinaus sind hier die Todesorte zu lesen, die Konzentrationslager und Gefängnisse, in denen Bewohner*innen des 10. Bezirkes gestorben sind. Aber wen mahnt ein Mahnmal, das niemand sieht? Irgendwie geht es den Monumenten wie Don Quichote und Sancho Panza. Sie beeindrucken und sie trauern gegen Windmühlen. Und wenn wir gegen den Faschismus kämpfen wollen, wenn wir ihn niemals vergessen wollen, müssen wir das selber tun.
Nur unser schlafendes Pferd will niemanden beeindrucken. Und wir werden nie erfahren, ob es einen Reiter abgeworfen hat oder ob es einfach nie einen hatte. Und wer bewundert das Pferd am Reumannplatz? Das Schöne an dem Monument von Heike Mutter und Ulrich Genth ist, dass ihm das ihm das völlig egal zu sein scheint.
- Nora Sternfeld
[1] Robert Musil, Nachlaß zu Lebzeiten, Reinbek bei Hamburg, 24. Auflage 2004, S. 62.
[2] Treblinka, Buchenwald, Dachau, Mauthausen, Ebensee, Landesgericht Wien, Bergen-Belsen, Sachsenhausen, Stein a. d. Donau, Strutthof, Morzinplatz, Theresienstadt, Ravensbrück, Auschwitz, Birkenau.
Ort
Kunstplatz Reumannplatz, 1100 Wien
Galerie
Weiterführende Info
Heike Mutter *1969 in München (DE), lebt in Hamburg (DE)
Ulrich Genth *1971 in Tübingen (DE), lebt in Hamburg (DE)
Zeitraum
Seit 23. Juni 2023
Vermittlung - Veranstaltungen
- Eröffnung Freitag, 23. Juni 2023 / 17:00