Mitten im Rudolf-Bednar-Park steht die plastische Darstellung eines monumentalen Zehs. Für die Dauer eines Jahres wird er sich selbst, beziehungsweise der Öffentlichkeit überlassen. Auf den ersten Blick handelt es sich um ein statisches Objekt, tatsächlich jedoch "wächst" der Zehennagel kontinuierlich. Damit stellt Leopold Kessler, der in seiner künstlerischen Arbeit urbanes Leben, menschliche Verhaltensweisen wie auch die Organisation des öffentlichen Gemeinschaftsraumes untersucht, die Anrainer*innen vor die Herausforderung, wie sie mit diesem Wachstum verfahren sollen.
„Durch das Schneiden von Finger- und Zehennägeln stellt man einen scheinbar zeitlosen Zustand her, der kurzzeitig über die Vergänglichkeit des eigenen Körpers hinwegtäuschen kann. Nägel wachsen immer, egal wie erfolglos oder erfolgreich das eigene Leben gerade verläuft, egal wie produktiv oder unproduktiv. Diese stoische Eigenart konterkariert die Vorstellung von Wachstum - z.B. Wirtschaftswachstum - als Fortschritt. Die Monumentalität des Nordbahn-Zehs überträgt diesen Kontext gedanklich ins Öffentliche: Der Nagel wächst unbeeindruckt vom Weltgeschehen, vom Glück und Unglück, Erfolg oder Misserfolg der Gemeinde. Das Wachstum reflektiert das schiere Vergehen von Zeit in seiner gnadenlosen Linearität.
Am Objekt wird mittels einer Infotafel darauf hingewiesen, dass jede/r die Nagelplatte mit einer gewöhnlichen Haushaltssäge und/oder Raspel bearbeiten kann. Ein Motiv zur eigenmächtigen Bearbeitung des Nagels kann das Gefühl von Selbstwirksamkeit sein, sich einzuschreiben in seine Umwelt oder einen Missstand zu beheben. Auch die Lust an Zerstörung ist eine Bestätigung der Selbstwirksamkeit: Die Nagelplatte kann relativ leicht beschädigt werden, vor allem wenn sie länger nicht geschnitten wurde. Während jedoch Vandalismus andere Projekte im öffentlichen Raum zerstören kann, wachsen sich hier Beschädigungen von selber aus.
Der Rudolf-Bednar-Park befindet sich in der Mitte des Nordbahnviertels, eines teilweise noch im Bau begriffenen Wohnviertels im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Zwischen dem scheinbar ewigen Wachstum des Nagels, dem permanenten Herstellen eines Status quo und der vorläufigen Geschichtslosigkeit des Viertels entsteht ein Spannungsverhältnis. Das Objekt begleitet die Bewohner ein Jahr, so kann sich der Eindruck des permanenten Wachstums einprägen und eine Routine aus Pflege, Störung und Wachsen entstehen.“ (Leopold Kessler, 2022)
Vermittlung
Regelmäßig findet vor Ort ein Vermittlungstermin statt. Nach einer Einführung in das Projekt werden Zustand und Wachstum des Nagels sowie mögliche Interaktionen der Anrainer*innen in Beziehung zu Entwicklungen im umliegenden urbanen Raum gestellt. Mit einem interessierten Publikum werden Fragen zum Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft sowie zur Rolle von Kunst im öffentlichen Raum diskutiert.
Ort
Rudolf-Bednar-Park, 1020 Wien
Galerie
Weiterführende Info
Leopold Kessler *1976 München, lebt in Wien. Er studierte Bildhauerei in München und Wien. Seine Arbeiten wurden in nationalen und internationalen Einzelausstellungen - unter anderem in der Malmö Konsthall, dem Bunkier Sztuki in Krakau oder der Secession in Wien - sowie in Gruppenausstellungen wie im Broad Art Museum der Michigan State University, im Palais de Tokyo oder im de Appel, Amsterdam gezeigt. Er war Teilnehmer der Singapur Biennale (2011), der 10. Lyon Biennale (2009) und der Manifesta 5 in San Sebastian (2004).
leopoldkessler.net
Zeitraum
14. September 2022 – 9. September 2023
Vermittlung - Veranstaltungen
- Eröffnung Mittwoch, 14. September 2022 / 17:30
- Vermittlung #1 Samstag, 15. Oktober 2022 / 15:00 - 16:00
- Vermittlung #2 (Im Rahmen der Vienna Art Week) Samstag, 19. November 2022 / 15:00 - 16:00
- Vermittlung #3 Samstag, 17. Dezember 2022 / 15:00 - 16:00
- Vermittlung #4 Samstag, 4. März 2023 / 15:30 - 16:30
- Vermittlung #5 Samstag, 22. April 2023 / 16:30 - 17:30
- Vermittlung #6 Samstag, 3. Juni 2023 / 16:30 - 17:30
- Zeh-Abschied Samstag, 9. September 2023 / 17:00 - 19:00