Der in Berlin lebende Künstler Christian Jankowski hat für die U-Bahn-Station Donauspital ein Projekt konzipiert, das sich mit grundsätzlichen Fragen der Auftragskunst befasst. Entstanden ist ein vielschichtiges Werk, das neben seiner konzeptuellen Schärfe einen hohen phantasmatischen Gehalt aufweist: Die große Geste, die aus 18 über die gesamte Station platzierten Schrift- und Zeichenbildern besteht, funktioniert als Sehnsuchtsmaschine – mit einfachen verbalen Reizungen werden bei den Betrachtern Erinnerungen und Projektionen ausgelöst, die weit über den geografischen Ort der U-Bahn-Station hinausreichen.
Ausgangspunkt für Die große Geste war ein Briefing, das Christian Jankowski zu einem früheren Kunst-am-Bau-Wettbewerb erhielt. Aus dem rund 100-seitigen Manual über die Beschaffenheit der gewünschten Kunst in einem Flughafengebäude extrahierte Jankowski eine Reihe von verbalen Zuschreibungen und Markierungen, die sich zwar auf Zweck und Funktion der Kunst beziehen, aber so allgemein gehalten sind, dass sie sich auf nahezu jeden anderen Ort übertragen lassen. Die Kunst solle „einen wichtigen visuellen und emotionellen Bezugspunkt“ schaffen, wird etwa gefordert. Oder weiter: „Die Kunst soll an dieser Stelle ein Zeichen setzen.“ Und natürlich sollte „die große Geste“ in der Empfangshalle nicht zu übersehen sein und repräsentativ wirken. Nicht ohne unfreiwilligen Humor lässt das Briefing ohne Scham und Diskretion keine Missverständnisse zu, wofür Kunst hier gebraucht – oder vielleicht gar missbraucht – werden sollte.
Aus dem von einer Marketingagentur verfassten Briefing spricht ein funktionalisierender Kunstbegriff. Gesucht wurde eine Kunst, die sich als Kommunikationstool in den Dienst des Gebäudes und seiner Aufgaben stellt, eine Kunst, die Aufsehen erregt, die Emotionen hervorruft und dem Spektakel verpflichtet ist.
Wie bereits in früheren Werken hat Christian Jankowski auch mit Die große Geste einen hintersinnigen Kontrapunkt zur allgegenwärtigen Vereinnahmung von Kunst entwickelt. „Das Phänomen Kunst am Bau mit künstlerischen Mitteln auf eine Metaebene zu heben und ihre Strukturen selbst zu thematisieren“ ist, wie der Künstler selbst ausführt, der Fokus der vielteiligen Installation. Die Besucher sollen angeregt werden, über die Bedingungen des öffentlichen Raumes und die Rolle der Kunst im öffentlichen Raum zu reflektieren. Bewirkt wird das durch rund zwei Dutzend Markierungszeichen (Rechtecke, Ovale, Kreise etc.) und dazugehörige Textelemente unterschiedlicher Größe und Bemalung, die aus Aluminiumblech und Edelstahl gefräst und sowohl im Innen- wie im Außenraum der U-Bahn-Station platziert sind. Diese Zeichen- und Textdisplays sind vergrößerte handschriftliche Kopien der Slogans aus dem Briefingkatalog und wurden vom Künstler mithilfe von Butterbrotpapier abgepaust. Enorm vergrößert erinnern sie in ihrer Machart auch an Werbetafeln oder durch ihre Farbigkeit an Leitsysteme und erzeugen damit einen fast selbstverständlichen Dialog mit der kommerziellen und betrieblichen Kommunikation, die in der U-Bahn-Station ebenfalls vorhanden ist.
Große Bedeutung kommt der Platzierung der Schriftbilder zu, die Jankowski mit schalkhafter Präzision vornimmt. So thront etwa die Formulierung „Der Auftritt“ direkt über dem Haupteingang zur U-Bahn-Station und erinnert die Passantinnen und Passanten daran, dass sie selbst Teil der Öffentlichkeit sind – gleichsam Performer und Akteure auf der Bühne des öffentlichen Raums. Darüber hinaus wird der Stationsbesucher durch die Markierungen ermuntert, gewohnte Strukturen (Eingang der Station, Ticketautomat, Rolltreppe, Bahnsteige, Überwachungskameras, Wartezonen etc.) neu zu betrachten und zu überdenken.
Letztlich rufen die Worte in den Köpfen der Betrachter jene Bilder hervor, die sie bereits selbst mit sich herumtragen. Christian Jankowskis Die große Geste ist ein Kunstwerk, das die Mechanismen von Kunst, Kommunikation, Selbstdarstellung und Subjektkonstruktion in der heutigen Gesellschaft brillant analysiert und zu einer überzeugenden Gesamtform stilisiert.
Text: Christoph Doswald
Ort
U2-Station Donauspital, 1220 Wien
Galerie
Weiterführende Info
Künstler
Christian Jankowski
* 1968 Göttingen (DE), lebt und arbeitet in Berlin (DE).
Dieses Projekt wurde im Rahmen eines künstlerischen Wettbewerbs als Siegerprojekt gekürt. Für mehr Informationen folgen Sie diesem Link:
Zeitraum
Seit 29. Oktober 2014
18-teilige Installation aus Schrift- und Zeichenbildern
Aluminiumblech, Edelstahl, beschichtet in den Farben Verkehrsrot, Weißaluminium und Graualuminium, verschiedene Maße
Vermittlung - Veranstaltungen
- Eröffnung Mittwoch, 29. Oktober 2014 / 18:00
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